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Titel
Regnum statt Interregnum. König Wilhelm 1247–1256


Autor(en)
Würth, Ingrid
Reihe
Monumenta Germaniae Historica. Schriften
Erschienen
Wiesbaden 2022: Harrassowitz
Anzahl Seiten
476 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Kaufhold, Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte, Universität Augsburg

Die Arbeit von Ingrid Würth zum knapp neunjährigen Königtum Wilhelms von Holland zielt auf eine Abschaffung des Begriffs Interregnum für die Zeit zwischen dem Ende der Stauferherrschaft und dem Königtum Rudolfs von Habsburg. Ingrid Würth möchte Wilhelm von Holland als einen König wie andere Könige auch rehabilitieren. Ihre Studie der Königsherrschaft Wilhelms von Holland basiert dabei vor allem auf den Urkunden Wilhelms, in der Edition von Dieter Hägermann, Jaap Kruisheer und Alfred Gawlik.1 Neben den Urkunden gilt das besondere Interesse von Ingrid Würth der zeitgenössischen Geschichtsschreibung zu Wilhelms Königtum und der Pflege der Memoria, insbesondere in der holländischen Überlieferung. Die Arbeit untersucht neben dem persönlichen Umfeld des Königs insbesondere die holländische Politik und die Politik im Nordosten des Reiches, insbesondere im Raum Braunschweig und Goslar. Ausdrücklich verzichtete Würth auf die Untersuchung des Rheinischen Städtebundes. Dabei wird nicht ganz klar, warum sie bei der Untersuchung einer Königsherrschaft auf ein Phänomen verzichtet, das sich über einen großen Teil des Reiches erstreckte und dabei nach eigenem Bekunden mit dem Schutz der Mitglieder eine Aufgabe übernahm, die eigentlich der König leisten sollte, und die aus der Sicht des Königtums zudem nicht legitim war.

Es wird schnell klar, dass Ingrid Würth keine Anhängerin eines Interregnumsbildes mit schwachen, bzw. abwesenden Königen ist. Dessen Vertreter bekommen ihr fehlgeleitetes Geschichtsverständnis schon bald attestiert und am Ende der Arbeit noch einmal zur Erinnerung deutlich benannt. Auch der Rezensent musste hier sein Unvermögen erkennen. Aber zwischen diesen beherzten Urteilen entfaltet sich eine klassische landesgeschichtliche Arbeit, die in dem Blick auf die holländische Politik Wilhelms und auf seine Politik im Raum Braunschweig und Goslar und in dem Blick auf die spätere Überlieferung insbesondere in holländischen Quellen eine profunde landesgeschichtliche Kenntnis zeigt. In diesem Raum agierte Wilhelm, zum Teil eingebunden in ein vertrautes personales Netzwerk, zum Teil auf dem Boden einer langen königlichen Tradition, überzeugend als König, und er wurde durchaus auch als ein solcher wahrgenommen.

Man würde als Vertreter der alten Schule vielleicht einwenden, dass diese Regionen nicht unbedingt zu den Innovationsräumen der Reichspolitik gehörten. Sie waren, um einmal ein älteres Vokabular zu verwenden, königsferne Regionen.

Die Regionen des Reiches, in denen die Königsherrschaft sich im beginnenden späteren Mittelalter bewähren musste, befanden sich eher im Süden des Reiches und entlang des Oberrheins. Es ist daher nicht so ganz klar, warum die Arbeit diese Gebiete ausspart. Dass der König in seinen eigenen Urkunden und in der stauferunfreundlichen Historiographie, die Wilhelms Familie nahestand, keine schlechte Figur macht, ist nachvollziehbar. Aber bräuchte es für die weitgehende Neubewertung und Marginalisierung der älteren Forschung nicht zumindest historische Prüfsteine, an denen solche Urteile auch gemessen werden könnten, unabhängig von der Selbstbeschreibung der handelnden Akteure? Und wäre es nicht nach den Standards wissenschaftlicher Diskussion zumindest angezeigt, sich im Verlauf der Arbeit mit den irrenden Vorgängern auch einmal argumentativ auseinanderzusetzen? Es kann ja sein, dass sie irren. Aber sollte man das nicht auch einmal an konkreten Phänomenen zeigen? Diese älteren Arbeiten werden zu Beginn der Arbeit und nochmals am Ende genannt, sie werden aber im Laufe der gesamten Arbeit in den Anmerkungen praktisch nicht zitiert. Ihre Argumente kommen gar nicht vor. Sie finden sich am Ende der Arbeit wie auch am Anfang der Arbeit zugespitzt wiedergegeben. Es ist legitim für eine jüngere Wissenschaftlerin, die Vorgänger für etwas zu attackieren, was diese nicht geschrieben und auch erkennbar anders gemeint haben. Das gehört zum Geschäft. Aber wenn man über das Königtum und die Königsherrschaft (regnum) schreibt, wäre es vielleicht sinnvoll, die Literatur, die in den letzten Jahrzehnten dazu entstanden ist, einzubeziehen. Wenn man Stefan Weinfurters Überblick2 mit der linken Hand abräumt und Peter Moraws Überlegungen zum spätmittelalterlichen Königtum3, die eine ganze Generation geprägt haben, nicht einmal ignoriert, dann hat man ein weites, freies Feld vor sich. Und sollte es auch bestellen.

Das erste Kapitel bietet eine eingehende Untersuchung der Urkunden Wilhelms – anders als die Überschrift nahelegt, untersucht Ingrid Würth hier die Beurkundungen Wilhelms zumindest bis 1252 und bereitet auch die Darstellung der personalen Bezüge vor, in denen der König agiert und die das zweite große Kapitel in den Blick nimmt. Es handelte sich dabei bis 1250 um eine Zeit, in der nicht nur zwei, bzw. drei Personen um den Thron konkurrierten, sondern auch verschiedene Vorstellungen vom Königtum gegeneinander standen. Der staufischen Vorstellung vom Königtum aus eigenem Recht und aus dem Recht der Fürstenwahl stand Wilhelms Königtum gegenüber, das sich bis 1252 sehr offen auf die päpstliche Legitimation berief. In Wilhelms eigenen Worten rührte sein Königtum daher, dass er „von den Fürsten zum römischen König gewählt“ und „vom Papst bestätigt“ worden sei (MGH Const. 2, Nr. 359). Und Papst Innozenz IV. vereinnahmte den jungen König ziemlich unverhohlen. Angesichts der Bedeutung, die die deutschen Akteure dieser Frage zunehmend beimaßen, wäre die Erörterung eines solchen königlichen Selbstbildes schon denkbar. Ohne Zweifel gewann der junge König nach dem Tod erst des alten Staufers, dann auch seines Sohnes, Zuspruch im Reich, angefangen mit erkennbaren Erfolgen im Norden, wie Würth zeigt.

Sie legt auch die Komplexität des Verhältnisses zu den beiden Erzbischöfen von Mainz und Köln dar. Wobei Mainz ein wichtiger Ausgangspunkt für Wilhelms Aktionen war. Wogegen sich der Umgang mit Erzbischof Konrad von Hochstaden in Köln schwieriger gestaltete. Immerhin ließ der Erzbischof nach dem Bericht der Stader Annalen das Haus in Neuss, in dem Wilhelm gemeinsam mit dem päpstlichen Legaten übernachtete, anzünden. Der Vorgang ist etwas unklar und Ingrid Würth arbeitet die Probleme der Überlieferung heraus. Aber auch wenn der Anschlag von Erzbischof Konrad dem päpstlichen Legaten galt, wirft er kein helles Licht auf den König. Wilhelm wäre dann ein König, in dessen Reich ein Legat des Papstes nicht sicher reisen konnte, wobei dieser König sein Amt in hohem Maße der Unterstützung der Kurie verdankte. Nimmt man dann noch den Steinwurf auf den König bei einer Beratung in Utrecht nur einige Monate später hinzu, dann entsteht der Eindruck von einem Herrscher, dessen Leben oder dessen Gesundheit man ohne Konsequenzen gefährden konnte. Und dieses Bild wird dadurch nicht unbedingt abgeschwächt, dass dieser König bei einem Kampf von eher regionaler Bedeutung im darauf folgenden Jahr unerkannt erschlagen wurde.

Es mag sein, dass die Geschichtsforschung bei der Beurteilung des Königtums Friedrich II. zu viel Raum einräumt, wie Würth im ersten Kapitel betont. Wobei man entgegnen könnte, dass die Spätmittelalterforschung zuletzt wohl ebenso sehr Maß an Karl IV. genommen hat. Aber in den Jahren 1254 bis Anfang 1256 erlebten Zeitgenossen, die bis 1250 einen König gehabt hatten, der auch bei lokalen Auftritten als Imperator agierte, nun einen Nachfolger, dessen Rüstung auf dem winterlichen Eis in Friesland nicht einmal königlich glänzte. Das Königtum dieser Phase war zu einem Teil eine machtpolitische Realität. Aber „König“, das war auch ein klingender Name, der weitergetragen werden musste. Das gelang Wilhelm, solange er sich unter politischen Freunden und Verwandten bewegte. Ingrid Würth zeigt das. Sobald Wilhelm diese Kreise verließ, wurde das Eis für ihn deutlich dünner.

Die Arbeit von Frau Würth arbeitet die landesgeschichtliche Dimension der Herrschaft Wilhelms kenntnisreich und überzeugend heraus. Was die Beurteilung seiner Königsherrschaft angeht, wartet der Rezensent noch auf Argumente, die die beherzten Urteile mit historischem Stoff füllen. Es kann sinnvoll sein, über die Bezeichnung historischer Phasen von Zeit zu Zeit zu debattieren. Aussichtsreich ist es wahrscheinlich nicht. Aber wenn man in so eine Diskussion eintritt, könnte man sich auch fragen, ob 5 Jahre von 23 ausreichen, um einen neuen Namen zu vergeben. Wir werden sehen.

Anmerkungen:
1 Dieter Hägermann / Jaap Kruisheer / Alfred Gawlik (Hrsg.), Die Urkunden Heinrich Raspes und Wilhelms von Holland (Monumenta Germaniae Histórica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae - Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 18), Hannover 1989–2006.
2 Stefan Weinfurter, Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008. Frau Würth zitiert aus dem Band von S. 182.
3 Peter Moraw, Reichsstadt, Reich und Königtum im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für historische Forschung 6 (1979), S. 385–424.

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